Das Boot, das 66 Jahre im Keller lag | float Magazin

2021-12-27 03:45:22 By : Mr. sir su

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Über ein halbes Jahrhundert lagerte diese Jolle in einem Plöner Keller. Bis unser Autor sie ausfindig machte, um ihr neues Leben einzuhauchen.

Seit Jahrzehnten ist der Große Plöner See mein Heimatrevier. Seit Jahrzehnten kenne ich alle alten klassischen Vollholzjollen, die jemals hier beheimatet waren oder es noch sind. Im vergangenen Sommer wurde ich nun gebeten, mich einmal mit einem fast 90-jährigen Herrn in Verbindung zu setzen, um das, was bei ihm im Keller unter der Hochterrasse liegt, in Augenschein zu nehmen.

Als Experte vor allem für klassische H-Jollen sollte es mir nicht schwerfallen, das Objekt im Keller eventuell auch als eine solche zu identifizieren. Gesagt, getan. Ich suchte den Herrn auf, erzählte ihm von meinem „Auftrag“ – und konnte es nicht glauben, was ich vorfand. Da lag aufgebockt eine Vollholzjolle mit dem schönen Namen „Windspiel“.

Kaum als solche erkennbar, da von einer Hollywood-Schaukel halb verdeckt, lag sie mit allerlei Krempel vollgepackt, das Seitendeck zusätzlich als Ablage für ein Paddelboot genutzt. Nur: Eine H-Jolle war das nicht. Ein Maßband schaffte letzte Gewissheit: 7,10 Meter lang, rund 1,90 Meter breit.

Die Spanten schmaler und mit größerem Abstand zueinander als bei einer H-Jolle. Das Deck und die Planken werden nach einer intensiven Klopfprobe auch als weniger stark empfunden. Hier lagerte tatsächlich – mehr oder weniger vergessen – seit 66 Jahren, also seit 1955, eine alte Vollholzjolle.

Ein neuer Termin wurde vereinbart. Ich brachte mir Hilfe mit, und nach eineinhalb Stunden hatten wir zu dritt das Boot ausgeräumt und freigelegt. Die komplett vorhandenen Spieren, die unter dem Boot und neben der Jolle auf den Böcken gelagert waren, wurden hervorgezogen.

Die zu Päckchen zusammengelegten drei Vorsegel – aus Baumwolle, stark spakig, teilweise sehr grob und schwer und mit Mäusefraß-Spuren – wurden entdeckt und anschließend das ebenfalls noch vorhandene Großsegel mit der Segelnummer „B.1.“ auf dem Rasen draußen ausgebreitet.

Das Segel sah im Gegensatz zu den Vorsegeln – noch eingezogen in die Keep der Gaffelspiere und des Großbaums – so aus, als wenn es erst gestern nach dem letzten Schlag auf dem See ordnungsgemäß und mit einer Persenning schützend umhüllt und weggelegt worden sei.

Die dünnen, biegsamen langen Holzsegellatten waren ordentlich herausgenommen und mit eingebunden. Die Baumwollbändsel der Persenning zerfielen allerdings schon, als wir die Knoten lösen wollten. Das schwere Eisenschwert und der Mast lagen unter der Jolle, die komplette Ruderanlage mit der Gabelpinne ausgebaut im Boot.

Eine vorläufige Inspektion der Substanz des Fundes ergab Überraschendes: kein Spant gebrochen, nur einige der relativ dünnen Bodenbretter leicht verzogen, die Bilge mit grauer Bilgenfarbe gepönt, keine Farbe abgeblättert, die Deckunterseiten weiß gestrichen, je zwei Auftriebskörper aus Blech vorn und achtern unter dem Deck sicher befestigt.

Allerdings hatte die jahrzehntelange Lagerung deutliche Dellen im Kielbereich hinterlassen. Das laufende Gut war herausgezogen und lagerte nebenbei auf einem Bord. Die teilweise in Buchten zusammengebundenen Wanten aus Eisen brachen mehr oder weniger beim Anfassen, so verrostet sind sie.

Sowohl in der Vorkriegszeit als auch unmittelbaren Nachkriegszeit stellte dieses Boot eine höchst seltene Spezies auf dem Plöner See dar. Heute erinnert die „Windspiel“ vor allem an die Besatzungszeit durch die Engländer in Plön, wovon mir der Bootsbesitzer noch berichten sollte.

Noch-Eigner Karl-Heinz Knobbe (89), Schwiegersohn des vormaligen Besitzers der Jolle, erinnert sich an die Erzählungen der Familie. Knobbes Schwiegervater, dem das Boot gehörte, hatte die Jolle 1937 gekauft, und er ist sie wohl bis 1939 gesegelt. Während des Kriegs war er als Luftschutz-Bereitschaftsarzt in Kiel tätig und konnte deshalb nicht mehr segeln gehen.

Die Engländer hatten Deutschland im Mai 1945 befreit und marschierten auch in Plön ein. Dort bezogen die Offiziere die Häuser der Rosenstraße, wo auch Knobbe wohnte. Die Bewohner durften noch mitnehmen, was sie tragen konnten. Die Jolle gehörte nicht dazu. „Was sie aber sofort entdeckt hatten, war das Segelboot unten in der Garage unter der Hochterrasse. Das wurde eins, zwei drei, rausgeholt und aufgetakelt. Es war ja alles da: Rigg, Segel und was alles dazugehört, Schwert und Ruderblatt, alles tipptopp. Und dann wurde gesegelt.“

Bekannt ist, dass dieses „Schicksal“ nicht nur diese Jolle, sondern die meisten Privatboote auf dem See ereilte. Gelegentlich, so hört man aus Erzählungen älterer Plöner Bootsbesitzer, hätten einige ihre schwimmenden Untersätze vorsorglich versenkt oder im Schilf versteckt.

„Die Engländer verließen die Rosenstraße dann um Weihnachten 1947/48. Es wurde keinem Bescheid gegeben und es hat auch keiner mitbekommen: „Wir waren ja alle verstreut“, erinnert sich Knobbe gegneüber float. „Als mein Schwiegervater Bescheid bekam, dass die Rosenstraße frei sei, hat er sofort das Haus und Ufer inspiziert und auch in die Garage geguckt und ein dummes Gesicht gemacht: Boje leer, Garage leer, Boot weg.“

Knobbe: „Das hat ihn besonders geschmerzt.“ Der Schwiegervater ist dann zurück nach Elmschenhagen und hat jedem davon erzählt, dass das Boot weg sei. Er habe auch überall nachgefragt und gesucht, aber keiner habe gewusst, wo es abgeblieben war.

Eines Tages fuhr ein Patient des Schwiegervaters – ein Holzhändler aus Rönne in der Nähe von Elmschenhagen – mit seinem Lastwagen nach Rendsburg und machte auf dem nahe gelegenen Westensee eine Entdeckung. Auf dem See erblickte er ein Boot, das dem des Doktors ähnlich sah. Da fuhr der Schwiegervater mit dem Händler zum Westensee und tatsächlich: Dort lag sein Boot.

Natürlich wollte er das Boot wiederhaben. Aber wie? Er fragte den Holzhändler, der hat aber entsetzt abgewunken. Denn nach 22 Uhr durfte kein Deutscher mehr auf der Straße sein. Das hatten die Engländer untersagt. Aber der Holzhändler hatte wohl eine Ausnahmegenehmigung für seinen Lastwagen. Er durfte fahren. Erst nach langem Zögern gab er seine Zustimmung für die Rettungsaktion. Warum? Ein Angebot des Schwiegervaters stimmte ihn wohl um: „Ich behandele Sie das ganze nächste Jahr umsonst.“

Doch allein oder gar zu zweit würden sie es nicht schaffen. Darum legte man eine Plane über den Lastwagen, unter der sich der Arzt und zwei weitere Leute versteckten. Der Holzhändler saß allein vorne am Steuer. Bei Dunkelheit, so gegen Mitternacht, wollten sie das Boot holen.

Die Engländer hatten die Jolle wohl immer mit einer Talje bewegt, mit der man das Boot von Land aus über einen Tampen an Land holen konnte. Der Mast wurde gelegt, alles aus dem Boot geräumt – und die vier Leute hoben das Boot auf den Lastwagen.

Dann kam wieder die Plane darüber, unter der sich alle versteckten, und es ging nach Kiel. Der Holzhändler hatte einige große Schuppen und Scheunen. Dort wurde das Boot vorerst eingelagert und mit Heu und Stroh vollgepackt, so dass es kein Mensch sah.

Als die Engländer endlich abgezogen waren, konnte man beim „Kriegsschädenamt“ in Neumünster Ansprüche über Beschädigungen an Möbeln oder Inventar stellen. Knobbes Schwiegervater hatte dort einfach den Verlust des Boots angegeben. Das wurde allerdings nicht anerkannt. Das Amt teilte ihm aber mit: „Ihr Boot ist in einer Sturmnacht lt. Auskunft bei den Engländern auf dem Westensee gesunken und nicht mehr auffindbar. Eine Ersatzforderung können wir nicht anerkennen.“ Wie gut, dass er es besser wusste.

Nachdem das wiedergewonnene Boot gut versteckt in der Scheune in Rönne gelegen hatte, segelte es die Familie später wieder.

Knobbe zeigt mir einige Fotos aus den frühen 1950er-Jahren. Er erzählt auch davon, dass die Jolle einmal durch Fritz „Fiete“ Schlüter fit gemacht worden sei. Der 1902 Geborene war als Bootsbauer im Internat auf dem Plöner Schloss angestellt. Er half 1954 auch, die Jolle unter der Hochterrasse des Hauses aufzuslippen und winterfest einzulagern.

Nach 1955 blieb das Boot lange ungenutzt. Das hatte verschiedene Gründe: Der Schwiegervater war als einziger Arzt in der Gegend häufig unterwegs. Auch die Großeltern kamen durch berufliche Verpflichtungen nicht dazu. Zuvor war Karl-Heinz Knobbe mit seiner späteren Frau, die gut segeln konnte, hin und wieder auf Tour. Aber als es dann 1954 eingelagert worden war, war es ihnen zu mühselig, es wieder aufs Wasser zu bringen. Sie gingen auch lieber paddeln.

66 Jahre später habe ich mich nun des Boots angenommen, und es warten viele Aufgaben auf mich: Zunächst will ich herausfinden, wann und nach welchen Klassenvorschriften diese Jolle gebaut wurde. Außerdem begann ich mit der Suche nach einem Käufer, der in der Lage ist, diesen Fund fachgerecht und im Originalzustand zu restaurieren.

Um es vorweg zu sagen: Ich bin fündig geworden, habe einen kompetenten Tischler gefunden, der sich der Sache annehmen wird. Und ich habe wohl auch nach umfangreichen Recherchen herausgefunden, um welche Bootsklasse es sich bei dem Kellerfund handelt.

Wie es mit der „Windspiel“ weitergeht, dazu bald mehr hier auf float. So viel sei aber verraten: Karl-Heinz Knobbe hat einen Nachfolger gefunden. Und der hat ihm den ersten Schlag mit der neuen, alten Jolle auf dem Plöner See schon versprochen.

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